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„Unruhe im Kopf“ von Gabor Maté

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Dieses Buch hat für mich einen besonderen Platz im (digitalen) Regal, da es mich überhaupt erst auf die Spur von AD(H)S brachte. Nach unzähligen Versuchen mit bloßer Willenskraft und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen mein Leben besser zu regulieren, eröffnete es mir eine andere Perspektive.

Worum geht es?

Maté beschreibt AD(H)S nicht als bloßes diagnostisches Label, sondern zeigt auf, wie biologische, psychologische und soziale Wechselwirkungen zu diesem Phänomen führen. Besonders den Einfluss frühkindlicher Bindungskonflikte und die transgenerationale Weitergabe von Stresserfahrungen hebt er dabei hervor. Beides könne maßgeblichen Einfluss auf die Expression entscheidender Gene haben (diese Wechselwirkung aus Umwelteinflüssen und der Aktivierung von Genen wird auch als Epigenetik bezeichnet). Die Folge sei eine Stress- und Reizverarbeitungsstörung, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Verträumtheit bis Hyperaktivität äußern kann. Daraus resultierende aversive Erfahrungen begünstigen wiederum die Entwicklung ungesunder Bewältigungsstrategien. Im ungünstigsten Fall – vor allem bei fehlender Unterstützung durch das Umfeld – löst dies eine für das Kind und den späteren Erwachsenen äußerst nachteilige Stressspirale aus. Ein unterstützendes Umfeld könne dagegen bei der gesunden Regulation dieser Besonderheiten helfen.

Maté stellt klassische Behandlungsansätze wie die medikamentöse Therapie oder Verhaltensinterventionen vor. Er appelliert daran, sich selbst und dem eigenen AD(H)S gegenüber eine mitfühlende Haltung einzunehmen. Wichtige Säule seines Ansatzes ist deshalb die Erforschung der eigenen Historie, Bedürfnisse und Bewältigungsmechanismen.

Rezension

Maté fokussiert sich vor allem auf die Ausprägung von AD(H)S bei Personen, die von ihrem Umfeld relativ wenig Unterstützung in der Entwicklung entsprechender Regulationskompetenz erfahren haben (ohne jedoch ausschließlich die Schuld bei den Eltern zu sehen). Doch auch für Menschen, die solche Erfahrungen nicht (bewusst) gemacht haben, können seine Beschreibungen interessante neue Perspektiven bereithalten. Gerade Eltern und Angehörigen kann das Buch ein deutlich besseres Verständnis für die Lebenswelt von Betroffenen eröffnen. Sicherlich deckt dieses Buch nicht alle möglichen Entstehungswege von “AD(H)S” ab. Auch konkrete Verhaltenstipps für den Alltag sind eher spärlich gesät – das ist aber auch nicht der Fokus des Buches. Für mich persönlich werden hier erschreckend genau meine Erfahrungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter beschrieben. Ich denke vielen anderen wird es ähnlich gehen.

Leider wird in der Vermarktung und im Buch selber relativ stark mit einem Bruch mit der „Gen-Theorie“ kokettiert. Das lässt erst einmal Unwissenschaftlichkeit vermuten und wird die ein oder andere Person unnötigerweise vom Buch abschrecken. Tatsächlich greift Maté aber natürlich auch die genetische Komponente auf und bleibt hier in der Wissenschaft verankert. Sie sei jedoch nicht der singuläre Faktor für die Entwicklung von AD(H)S-Symptomen. Im Sinne des biopsychosozialen Ansatzes zeichne sich das Bild komplexer. So macht Matés Perspektive vor allem die Grenzen diagnostischer Kriterien und der reinen Beschreibung von Symptomen deutlich. Wer AD(H)S auf einen bloßen Mangel an Neurotransmittern reduziert, vernachlässigt meiner Meinung nach wichtige andere Faktoren, wie prägende Stresserfahrungen. In „Unruhe im Kopf“ findet sich dagegen eher ein umfassender Blick, der auch gesellschaftliche und individuelle Umstände berücksichtigt.

Zudem ist der Begriff “Heilung” in diesem Kontext oft (zurecht) negativ konnotiert. Dahingehende Kritik ist meiner Meinung nach allerdings in diesem Fall unbegründet, da hier in der Übersetzung eine wichtige Differenzierung verloren geht. Im Englischen wird zwischen “to cure” und “to heal” unterschieden. Ersteres meint die vollständige Aufhebung von Symptomen und den zugrundeliegenden Mechanismen. Im von Maté benutzten Sinne bedeutet “healing” bzw. in der Übersetzung “Heilung” jedoch eher die Stärkung von Kompetenzen und einen Prozess des „sich Einstimmens“ mit sich und seinen Besonderheiten.

Lange Zeit war das Buch nur als englisches Original „Scattered Minds“ verfügbar (ca. 12,99€). Mittlerweile gibt es mit „Unruhe im Kopf“ auch eine deutsche Übersetzung (ca. 28,80€).

Das Buch eröffnet eine interessante Perspektive auf AD(H)S und neuropsychiatrische Phänomene im Allgemeinen. Von mir deshalb eine klare Empfehlung. Wer mit englischen Texten keine Schwierigkeiten hat, sollte meiner Meinung nach aufgrund des Preisvorteils lieber zum Original greifen.

Hi, ich bin Fabian und ich stelle euch Hilfsmittel vor, die mich in meinem Alltag und bei der Selbstregulation unterstützen.

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